Über den Schatten springen – Stabilität durch Veränderung

Beate Kohlmeyer|Allgemein|18. Mai 2019

Jetzt ist es satt und heiter…

Natürlich liebe ich Tage, an denen ich mich stabil fühle, an denen mit Leichtigkeit schönste, positiv stimmende Poesie aus mir herausfließt. 

Die folgenden Worte aus meiner Feder habe ich gerade vor einigen Tagen so hübsch präsentiert in meiner Verbandszeitschrift(VFP) gesichtet, und sie haben mich einmal mehr sehr berührt, 

weshalb ich sie hier nochmal mit euch teilen möchte.

Sie sind in einer meiner morgendlichen Schreibübungen einfach aus mir herausgeflossen und erinnern mich daran, wie wichtig und wohltuend es ist

, von Zeit zu Zeit meinen Blick nach innen zu richten, in mir zu lesen also, um etwas über meine aktuelle tiefinnerliche Beschaffenheit zu erfahren…

Die verwundete Heilerin – die Kraft aus den Wunden - Verband ...

Natürlich ist das nicht immer so!


Schließlich und endlich schenke ich mir diese Zeit der wohligen Aufmerksamkeit für mich selbst, um mehr über mich zu erfahren, um all meine Facetten und Farben kennenzulernen. Dabei würde so eine Art Tyrannei des positiven Denkens nur hinderlich sein.

Ich verstehe mich da als Archäologin, die ausgräbt, was im Verborgenen liegt.

Ganz so, wie in meiner psychotherapeutischen Arbeit.Bei meinen Entdeckungen nehme ich alles in Augenschein.

Kein zerbrochener Krug, keine noch so kleine Scherbe wird wieder vergraben. Gebe ich mich doch der Hoffnung hin, am Ende des Tages ein Lebensmosaik in den Händen zu halten, in dem ich mich erkennen kann.

Dafür braucht es Zeit und Raum und den festen Entschluss, regelmäßig der akuten Alltäglichkeit den Rücken zuzukehren, um wahrnehmen zu können, was ist und den Fragen, Aussagen und Gefühlen zu lauschen, die sich mir präsentieren.

Von Zeit zu Zeit schenke ich mir ganze Tage, an denen ich mich dem Rhythmus meiner Katzen anpasse und einfach lausche, was kommt. Dabei entstehen zuweilen riesige Rauchwolken über meinem Kopf und meine Seele windet sich durch Wirrsal und ungemütliches, schattiges Terrain, aber am Ende des Tages habe ich mir bewusst gemacht, was mich gerade beschäftigt und umtreibt.

Intime Begegnung mit mir selbst schafft Bewusstsein und Stabilität

Ich nehme mich dann ganz ohne Ablenkung selbst wahr, durch-schaue mich und er-löse mich im besten Fall von Teilen meiner Identität, die meiner inneren Einheitlichkeit im Weg stehen. 

Ja, die Zeiten Sigmund Freuds liegen hinter uns, in denen angenommen wurde, die Persönlichkeitsentwicklung sei mit dem 18. Lebensjahr im Wesentlichen abgeschlossen, 

und wir seien nun zu einer festen Persönlichkeit herangereift.

Ich bin gottfroh, im Verlaufe meines Lebens erfahren zu haben, dass meine Identität sozusagen fluide ist. 

Ich kann meine Neigung, die emotionale Umgebung meiner Kindheit zu reproduzieren, in der meine Prägung und allerlei Zuschreibungen stattfanden, jederzeit neu überdenken, erspüren und prüfen.

 Das gibt mir Stabilität.

  • Welche Werte, die ich übernommen habe, passen nicht zu meinem authentischen Kern?

Es lohnt sich, immer mal wieder zu erspüren, ob meine Werte aktuell noch zu meinem authentischen Kern passen. 

Ich bin vom Leben sehr oft aufgefordert worden, meine Überlebensstrategien und Sonderprogramme zu hinterfragen. Oft nicht durch die Vernunft. 

Die beließ mich weiter im Wachkoma, scheint sie doch nicht eben mit der Einsichtsfähigkeit verschwistert zu sein. Vielmehr sind es die Schicksalsschläge und Zäsuren im Leben, die mich einsichtig machen.

Sie sind es, die uns helfen können, neue Wege einzuschlagen und im besten Falle verhindern, dass wir uns selber aus der Kurve tragen. In diesem Sinne möchte ich Symptome – wie zum Beispiel die weit verbreitete Erschöpfung – als Überlebenssymptome verstehen, die uns lautstark dazu auffordern, neue Programme und Visionen zu erfinden.


Inflexible Identitätspolitik erschöpft Mensch und Planet


Diese Erkenntnis, veränderbar und fluide zu sein, empfinde ich heute als wichtiger denn je, weil ich der festen Überzeugung bin, dass wir Menschen – und somit auch unser wunderschöner Planet – gleichermaßen erschöpfen, da, wo inflexible Identitätspolitik wirkt. Sehr viel „Ich“, das uns schon von Kindesbeinen an von der Umwelt zugeschrieben wurde, klebt an uns wie die Fliegen am Vergiftungsband.

Und sehr viele von uns scheuen eine ausführliche Inventur der Identität,weil das möglicherweise Ungewohntes mit sich brächte, wir die vermeintliche Komfortzone (die ja auch gemütliches Elend sein kann) in der Folge verlassen müssten.

Nun weiß ich aber durch meine persönliche Biographie und die Arbeit in der Praxis, dass es Situationen im Leben gibt, in denen das Erreichen von Stabilität nur durch Veränderung möglich ist.

Da hilft kein “Immer-mehr-desselben“. Und da gilt es die bestehende Ordnung zu entzaubern, um sie neu zu besinnhaften. Da ruft es nach Mobilisierung, um die gedanklichen Pfade in die Zukunft zu revolutionieren.


Stabilität durch Veränderung

In der Psychologie sprechen wir in diesem Zusammenhang von Allostase.

 Gemeint sind die Anpassungsleistungen eines Organismus, die erforderlich sind, um seine Lebensfunktionen aufrechtzuerhalten.

Bei meiner letzten Verabredung mit mir selbst stand dieses Thema im Mittelpunkt und mir wurde schmerzlich, und gleichzeitig meinen Kampfgeist weckend, bewusst, wie sehr genau diese Leistung von jedem einzelnen gefragt ist, damit wir uns eben nicht selbst aus der Kurve tragen und wir eine reelle Überlebenschance haben.

Wie im Kleinen, so auch im Großen.

Wie im Mikrokosmos, so im Makrokosmos.

Jeder einzelne von uns ist gefragt, über seinen Schatten zu springen, sich zu überwinden, etwas zu tun, was er noch nie getan hat, über seine Möglichkeiten hinauszugehen…

Für Wandel und Stabilität im Kleinen wie im Großen!

Wer hierzu eine Inspiration empfangen möchte, schaue gern auf den beigefügten Artikel von Harald Welzer.

Verbunden grüßt euch,

eure Beate

Heilpraktikerin für Psychotherapie