Der Wille zum Leben – Ein Postulat


Beate Kohlmeyer|Allgemein|23. Dezember 2017

Morgen also ist Heiligabend.

Heilig bezeichnet etwas Besonderes, Verehrungswürdiges.

Und in diesem heiligen  Abend wohnt auch das Heil – rein vom Wortstamm her betrachtet. Aber womöglich ja auch darüber hinaus. 

Heil zu sein, ganz und vollkommen, ist ein Sehnen, das wohl ein jeder von uns kennt. Mir jedenfalls ist es sehr vertraut. Und ich habe im Verlauf meines Lebens einiges unternommen, um diesem Ziel näher zu kommen.

Ich habe unzählige alte Trampelpfade hinter mir gelassen auf meinem Weg der Selbsterkenntnis und Fürsorge.

 Ich habe mich ganz schön ins Zeug gelegt auf der Wegstrecke, bin manchmal über mich hinausgewachsen, 

manchmal unter meinen Möglichkeiten geblieben, wenn die Furcht mir so übermächtig erschien.

In jedem Fall habe ich immer mein persönliches Bestes gegeben.

Zum Teil unter großer Anstrengung und Mühe. Das weiß ich genau. Das mag einer der Gründe  sein, warum ich mich vor drei Wochen so fühlte als habe ich die Sphäre des Göttlichen verlassen.

Als habe Gott mich verlassen…

…während ich der Diagnose meiner Gynäkologin lauschte: Invasiv lobuläres Mamma Karzinom.

 Und das mir! Ich trinke nicht, rauche nicht, bewege mich, verzichte weitestgehend auf Zucker, Weißmehl und Tierprotein…..

Was für eine Attacke auf mein Gefühl von Selbstwirksamkeit!

Ich bin stinksauer. Fühle mich vom Leben betrogen. Das also ist der Lohn meiner Anstrengung. 

Während ich mir so zuhöre, wird mir bewusst, was für ein unheilvolles Konzept diesen Überlegungen zugrunde liegt.

 Ich nehme also an, wenn ich schön artig, tapfer und bemüht bin, kann ich das Leben kontrollieren, bin ich in Sicherheit?! 

Welch Allmachtsphantasie! 

Gefüttert von christlicher und familiärer Konditionierung. Diese Rechnung geht nicht auf. Und wenn ich mich noch so anstrenge und abmühe. 

Es gibt kein bestimmtes So-Sein, das mich zuverlässig schützt, liebenswert macht oder was auch immer…..

Ich suche nach meiner eigenen Mathematik.

Eine, die mir sinnvoll erscheint. Eine, die mir Heil bringt. Nehmen wir mal an, das Karzinom wächst für mich und nicht gegen mich, um mir die alles entscheidende Frage zu stellen:

Beate, willst du Leben oder Sterben?

Nehmen wir mal an, das Gewächs stellt die ganzen Gifte, Fehlkonditionierungen und unzuträglichen Grundannahmen dar, die während meines gesamten Lebens in mich geflossen sind, und diese ganze unheilvolle Schlacke kann nun mit einem Schnitt aus mir herausbefördert werden…… Ja, das möchte ich annehmen. Das ist ein heilsames Bild. Mit diesem Bild kann der bevorstehende Heilige Abend auch meine Geburt sein. Dann kann dieser Abend bei aller Furcht vor dem Tod, der Verletzbarkeit, der gefühlten Beschädigung auch ein Neuanfang sein. Dann kann er mich erinnern, an eine göttliche Schöpferkraft, die fließt wie frische Farbe auf meinem (Lebens)-bild. Die keiner Richtung folgt – nur sich selbst, die das Müssen, Wollen und angestrengte „Herumgekrebse“ hinter sich lässt, um zu kindlicher Spielfreude zu finden.

Ich werde experimentieren.

Ich werde …… expandieren,… mir Raum nehmen,… werde raumfordernd sein wie m-ein Tumor.

Dann wird er einsehen, dass er  nicht länger gebraucht wird, dass er überflüssig ist…..

Ich werde…  … mich mir und dem Leben liebevoll hingeben.… aufhören zu erdulden.… laut sein.… singen.… meine ganz ureigene Lebensmelodie finden und lauthals trällern.…

 das tun, was ich will.… das sein, was ich bin.… herausfinden, was DAS ist.… alles leben.

Und ich werde nicht der Frosch sein, der im Milchtopf ersäuft.Wie in folgender Geschichte von Aesop beschrieben:

Auf dem Bauernhof stand ein Eimer. Zwei Frösche kamen vorbei und waren neugierig, was da wohl im Eimer sei. Also sprangen sie mit einem großen Satz in den Eimer.

Es stellte sich heraus, dass das keine so gute Idee gewesen war, denn der Eimer war halb gefüllt mit Milch. Da schwammen die Frösche nun in der Milch, konnten aber nicht mehr aus dem Eimer springen, da die Wände zu hoch und zu glatt waren.

Der Tod war ihnen sicher.

Der eine der beiden Frösche war verzweifelt. “Wir müssen sterben”, jammerte er “hier kommen wir nie wieder heraus.” Und er hörte mit dem Schwimmen auf, da alles ja doch keinen Sinn mehr hatte.Der Frosch ertrank in der Milch. 

Der andere Frosch aber sagte sich: “Ich gebe zu, die Sache sieht nicht gut aus. Aber aufgeben tue ich deshalb noch lange nicht. Ich bin ein guter Schwimmer! Ich schwimme, so lange ich kann.”

Und so stieß der Frosch kräftig mit seinen Hinterbeinen und schwamm im Eimer herum. Immer weiter. Er schwamm und schwamm und schwamm. Und wenn er müde wurde, munterte er sich selbst immer wieder auf. Tapfer schwamm er immer weiter.

Und irgendwann spürte er an seinen Füßen eine feste Masse. Ja tatsächlich – da war keine Milch mehr unter ihm, sondern eine feste Masse. Durch das Treten hatte der die Milch zu Butter geschlagen! Nun konnte er aus dem Eimer in die Freiheit springen.

Wenn du sie brauchst: Wünsche an dich…

Allen, die in Not sind, deren Leben durch ein schweres Schockerlebnis tief erschüttert wurde, wünsche ich von ganzem Herzen die Hoffnung und Zuversicht, die es braucht, um nicht aufzugeben, um in die Freiheit zu springen. 

Möget Ihr alle begleitet sein von einer kostbaren Armee Erd-engelein, die euch empathisch und liebevoll zur Seite steht und so das Schwere leichter macht. Und möget ihr mutig teilen, was euch bewegt!

Mein tief empfundener Dank… auf meinem urpersönlichen Pfad der Erschütterung gilt meinen Weggefährtinnen – vor allem Bine und Sigrunde, die in dunkler Nacht meine Hand gehalten haben und über mich wachten, als ich es nicht mehr vermochte.


Es gibt noch Wunder, liebes Herz,
getröste dich!
Erlöste dich
noch nie ein Stern aus deinem Schmerz,
des Strahlenspiel
vom hohen Zelt
in deiner Qualen
Tiefe fiel
und sprach: "Sieh, wie ich zu dir kam
vor allen andern ganz allein!
Du liebes Herz, wirf ab den Gram!
Bin ich nicht dein?
Getröste dich!"

Erlöste dich
noch nie ein Stern ...

Christian Morgenstern